Neu in der C-Suite: Der Chief Digital Officer (CDO)
Wie hebt man eine große Bank auf die nächste Stufe der digitalen Transformation? Wir haben uns mit Frank Verkerk, dem Chief Digital Officer der ABN AMRO getroffen und ihn nach dem bisher Erreichten gefragt.
Wenn Sie sich den Weg von ABN AMRO's bisheriger digitalen Transformation betrachten, an welchen Punkt steht Ihr Haus aktuell?
„Wir sind in diesem Bereich bereits sehr weit vorangekommen. Aufgrund der COVID-19-Situation wurde eine Anzahl an Programmen beschleunigt, darüber hinaus haben wir die letzte Phase, dezentralisiertes Arbeiten von zu Hause zu erleichtern, abgeschlossen. Nicht nur das haben wir geschafft, wir sind jetzt zudem auch noch in der Lage, auch zukünftig auf diese Art und Weise zu arbeiten. ABN AMRO ist eine komplett digitale Bank.
In den Jahren 2015-2016 lag der Fokus der Bank in Sachen IT und Digitalisierung hauptsächlich auf Automatisierungsprozessen, die jeweils einen klaren Anfang und ein klares Ende hatten. Ab 2017 machten wir dann den Sprung, uns zum agilen Unternehmen zu entwickeln. Das ist für ein Unternehmen mit mehreren tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine gewaltiges Unterfangen. In dieser Periode haben wir die Teilung zwischen IT und 'dem Geschäft' beseitigt: ein Prozess, der uns viel Energie abverlangte, sich aber ausbezahlt hat. Das heißt aber nicht, dass wir vor diesem Datum nichts Spezielles gemacht haben. 2010 waren wir die erste niederländische Bank, die eine Mobil-App mit Echtzeit-Kontostand-Abruf anbot. Das war zu jener Zeit wirklich bahnbrechend. Heute können Kunden Extra-Zahlungen auf ihre Hypotheken über Ihr Handy vereinbaren. Die Bank auf's Handy zu bringen ist schon eine Mega-Transformation; vor allem aber ist es ein Prozess, der niemals aufhört. Seitdem der Kontakt mit dem Kunden hauptsächlich digital stattfindet, denken wir ständig darüber nach, welche Feinabstimmungen wir hinsichtlich der Online-Kundenerfahrung noch machen können.
Seit März befinden wir uns wegen COVID-19 allerdings in einer neuen Realität. In gewisser Weise war das ein guter Test für die digitale Resilienz der Bank. Mit Ausnahme des Schalterpersonals haben wir es zügig geschafft, dass alle von zu Hause aus arbeiten konnten, inklusive der Berater, und, zum Beispiel, aller unserer Callcenter-Mitarbeiter und Techniker in Indien, die für Outsourcing-Partner tätig sind. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass eine Bank sich in einem regulierten Umfeld bewegt, und dass man bei der Beratung oder bestimmten Backoffice-Funktionen mit sensiblen und personenbezogenen Daten zu tun hat. Bei uns lief bereits ein Projekt, um diese Sachen zu realisieren, was bis zum Abschluss allerdings noch 12 bis 18 Monate gebraucht hätte. Nun haben wir das in lediglich ein paar Wochen geschafft.
Video spielt eine wesentliche Rolle bei der digitalen Transformation, da es hierdurch den Kunden möglich wird, in angenehmer und sicherer Weise mit ihrem Berater zu sprechen. Möglicherweise wird Video auch bei zukünftigen Innovationen und Verbesserungen bei der Erbringung von Services eine gewichtige Rolle spielen.
Gewiss haben wir unsere digitale Transformation noch nicht abgeschlossen. Dass dieser Prozess ein Ende findet, ist unwahrscheinlich, da sich die Erwartungen der Kunden auf die ausrichten, die sie mit Amazon, Netflix und CoolBlue gemacht haben. Die Entschuldigung: 'Aber wir sind doch eine Bank' zieht nicht mehr. Man muss eine digitale Erfahrung bieten können, die den von diesen Marktparteien entspricht. Und dies können wir, wenn wir über unser Service-Angebot für B2C-Kunden sprechen.
Allerdings ist es noch eine größere Herausforderung, diese Services mittleren und größeren Unternehmen bereitstellen zu können. In diesem speziellen Segment bestehen Banking-Services oftmals aus komplexen Prozessen, zudem erwarten einzelne Angestellte eine in ähnlicher Weise zugängliche Schnittstelle, die sie selbst als Verbraucher gewohnt sind.
Der beste Kompass für digitale Transformation zeigt dahin, dass man 'mit seinen Kunden spricht'. Welche Erfahrungen machen diese bei anderen Unternehmen und in anderen Branchen? Was sind ihre Erwartungen? Wir müssen kontinuierlich zuhören; glücklicherweise gibt es eine Reihe von Tools dafür. Tools, mit denen nicht nur tatsächlich gesprochen werden kann, sondern die beispielsweise ein detailliertes Monitoring darüber ausführen, wie Kunden mit Ihrem Unternehmen digital interagieren. Wann klicken Sie durch, wann klicken sie weg? Der Trick hierbei ist, dass man diese Signale auch wirklich im Änderungsprozess nutzt und sich selbst nicht zu 100 % auf das verlässt, was technisch möglich ist oder zu deiner eigenen Strategie gehört.“
Was bedarf es, um eine Bank auf die nächste Stufe der digitalen Transformation zu hieven und was sind die KPI für eine erfolgreiche Transformation?
“Zum Ersten muss man unbedingt verstehen, dass digitale Transformation in erster Linie keinen Technologieschub darstellt, sondern auch einen von Verbraucherseite ausgeübten Druck umfasst. Zum Zweiten ist ja auch nichts mehr für ewig: alles verändert sich ständig.
Die echte Transformation findet auch auf der 'menschlichen Seite' eines Unternehmens statt. Technologie ermöglicht es Beratern, alles über Video zu erledigen. Allerdings liegt die Herausforderung darin, sie überhaupt erst einmal davon überzeugen, dieses Tool zu verwenden. Letzten Endes unterscheidet sich diese Arbeit von allem, was wir bisher gewohnt waren. Denken wir daran, dass wir nicht nur über das Gespräch mit dem Bankkunden kommunizieren, sondern auch über die Terminvereinbarung, den Austausch von Dokumenten, der 'digitalen Signatur' sowie die im Hintergrund ablaufende Unterstützung des Beraters durch Tools mit Inhalten. Und dies muss so ablaufen, dass der Kunde eine reibungslose Erfahrung macht.
Die Chancen, die eine komplette Digitalisierung bietet, sind enorm. So zum Beispiel waren wir die einzige Bank, deren Berater während des letzten Funda Open House Day, der von dem niederländischen Immobilienportal organisiert wurde, Interessenten zur Verfügung standen. Auf diese Weise konnten Verbraucher nach einer Hausbesichtigung ein Beratungsgespräch über ihre Hypothek führen. Diese Videoberatung kam bei den Verbrauchern übrigens sehr gut an. Videoberatung ist also nicht mit einem Vis-á-Vis-Termin gleichzusetzen; vielmehr ersetzt das Videogespräch den Termin bei der Bankfiliale.“
David L. Rogers* (2016) und andere argumentieren, dass es bei der „digitalen Transformation nicht um das Updaten Ihrer Technologie geht, sondern um das Upgraden Ihres strategischen Denkens“ geht, was heißen soll, dass die obere Führungsetage Wege finden muss, um neue und unerwartete Innovationen für das Business-Modell zu kapitalisieren und dadurch Kundenbedürfnisse und -erfahrungen zu optimieren. Trifft dies auch auf ABN AMRO zu?
„Wie beschleunigt man? Das ist ein Mittelding zwischen methodischem Vorgehen und Fingerspitzengefühl. Ich glaube an die kleinen Experimente. Diese kann man entweder selbst, im eigenen Unternehmen, durchführen, oder auch, indem man in vielerlei Art und Weise mit Fintechs zusammenarbeitet, angefangen bei der Zuweisung bis hin zum Eigeninteresse an Start-ups und deren Eingliederung in das eigene Umfeld zum richtigen Zeitpunkt.
Ein Beispiel für ABN AMRO ist die Art und Weise, in der wir Erfahrungen mit Chatbots gesammelt haben. Wir haben das in der Bank auf kleinem Level begonnen, aber die Bots lernten nicht schnell genug, sodass wir diese dann nach Empfehlung eines externen Partners mit ‚Live‘-Gesprächen verlinkt haben. Wenn der Bot selbst nicht antworten konnte, hat dann ein Callcenter-Agent übernommen. Hierdurch konnten wir die Entwicklung beschleunigen. Inzwischen führen wir pro Monat über 35.000 Bot-Unterhaltungen und die zur vollsten Zufriedenheit der Kunden, die ihre Unterhaltung mit unseren Bots abschließen.
Das zeigt uns, dass man nicht zu allem ‚Nein‘ sagen muss. Weine weitere Lektion besteht darin, dass es hilft, wenn man Expertise und Erfahrung von außerhalb des Bankensektors mit ins Team holt. Mitarbeiter, die zum Beispiel aus dem Einzelhandel oder Datenmanagement kommen, verhindern, dass man mit einem Tunnelblick ans Werk geht. Der dritte Faktor bei der Beschleunigung der digitalen Transformation ist, den Mut zu haben, ein Projekt zu beenden. Man muss aber auch in der Lage sein, ein Projekt zu beenden, wenn es sich als nicht umsetzbar erweist. Schließlich sind die Ressourcen begrenzt und daher ist kein Platz dafür, mit Hobbys fortzufahren.
Ein Beispiel dafür, wann man stoppen muss, ist Kendu, unsere Wealthmanagement-Services anbietende App mit einem Fokus auf ein junges Publikum, die allerdings hinter den Erwartungen zurück blieb. Zwar gab es in den vergangenen Monaten ein steigendes Interesse an Investitionen, allerdings nicht in Kendu. Daher stoppten wir die Initiative, egal wie unglücklich wir darüber waren, und verschoben den Fokus darauf, wo Wachstum auch erzielt werden kann.
Zwar versucht man immer, der Kurve voraus zu sein, aber das ist ein fortwährender Prozess von ‚Trial & Error‘. Wir haben uns entschieden, Projekte für eine bestimmte Zeit mit einem begrenzten Budget auszustatten, diese regelmäßig zu überprüfen und dann bewusst auszuwählen, ob das Experiment in die nächste Phase geht.“
In einem früheren Interview sagten Sie, dass „eine Partnerschaftsstrategie der Kern dafür ist, um schneller auf einen sich ändernden Marktplatz zu antworten und neuen Kundenforderungen zu entsprechen.“ Was ist die Rolle des CDO in diesem Prozess des Schmiedens neuer Partnerschaften und wie werden diese neuen Formen der Partnerschaft unternehmensintern angenommen?
„In der heutigen Realität ist Veränderung eine Konstante, die an Tempo eher zu- als abnimmt. Ohne Partner kann man mit diesem Tempo nicht Schritt halten. Kein Unternehmen aus meiner Branche kann alles selbst interpretieren, oder etwas aufbauen; und vor allem Talente in ausreichender Zahl anziehen. Wenn man Erfolg haben will, ist es wichtig, Teil eines großen Ecosystems zu sein. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass der Weg des Kunden weit vor seiner Ankunft bei der Bank beginnt.
Im Team die richtigen Leute und die richtige Expertise zu haben, ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Und heutzutage konkurriert man als Finanzdienstleister mit Parteien wie z. B. Microsoft und Google. Ich selbst bin ein großer Fan der Zusammenarbeit mit Fintechs. Bei dieser stehen einem jede Menge an Talent zur Verfügung. Corporate Venturing wird für Banken weiterhin ein wichtiges Element sein. Bei ABN AMRO machen wir deswegen große Schritte. Der Grund hierfür ist, dass wir durch das Investieren in Fintechs Zugang zu eben diesem Talent und der Technologie erhalten. Talent, das zudem externe Mittel anzieht, arbeitet für große und unterschiedliche Kundengruppen und kann daher viel schneller skalieren, als wir es als Bank in den Niederlanden jemals tun können. Die Beschleunigung der digitalen Transformation in den Finanz-Services erfordert Partnerschaften und Verbindungen.
Jeder erfahrene Profi sollte sich darüber im Klaren sein, dass jedes Unternehmen nach ‚Tag 2‘ mit sog. Legacy-Technologie arbeitet. In unserer Branche werden wir von Regulatoren geprüft. Außerdem sind Daten datenschutz-sensibel, was heißt, dass nicht Alles möglich ist. Dies schmälert schon kraft Definition die Kraft von Innovation. Und das ist ein weiteres Argument dafür, hauptsächlich mit Partnern zusammenzuarbeiten. Der Regulator muss nicht unbedingt ein einschränkender Faktor sein. Klar, manchmal will man schneller sein, aber das über dich wachende Auge der Zentralbank – und, in unserem Fall, der Finanzaufsicht – macht jede Implementierung letzten Ende robuster.“