Innovation fliegen lassen

Warum scheitern Innovationsprojekte? Einer der Gründe hierfür ist, dass Executives von ihrem Unternehmen losgelöst handeln. Ein weiterer Grund sind fehlende Ziele. Don Ginsel, zunächst Ingenieur, dann Banker und dann CEO/Gründer von Holland Fintech, erläutert die Details des Erfolges und Scheiterns anhand des 3-Horizonte-Modells von McKinsey. „Letzten Endes bleibt es bei der einen Frage: Wie trägt Innovation zu zukünftigem Wachstum bei?“

Don Ginsel, CEO, Holland FinTech

Don Ginsel, CEO, Holland FinTech

“Die größte Herausforderung für etablierte Unternehmen sind ihre Altsysteme, die ihre Fähigkeit, ihren Willen und den Wunsch nach Veränderungen einschränken. Von Natur aus ist der Mensch nicht so sehr für Veränderungen offen. Als Menschen könne wir zwar Probleme klar lösen und uns anzupassen, aber sobald diese Probleme weg sind oder sich nicht manifestieren, ändern wir uns von uns aus nicht. Dies sind die Gesetze der Natur. Wir erfüllen unsere Rolle, wie sie das Leben uns vorgibt. Und nur dann, wenn es selbst eine andere Richtung nimmt, geraten wir in Stress und werden zu den kreativen Kreaturen, die ihm eine Wendung zu geben versuchen. Die größte Herausforderung für uns Menschen ist es also, die Notwendigkeit zur Veränderung zu erfassen, denn Veränderung tritt in der Form kleiner aufeinanderfolgender Schritte auf.“ 

Überzeugte vs. Zweifler

“Der Aufstieg des Internets, der Blockchains und von KI: wir sehen ständig, wie sich neue Technologien explosionsartig Bahn brechen und die uns bis dahin bekannte Welt verändern. Manche Menschen werden sich diesen Entwicklungen mit Begeisterung zuwenden und von ‚Disruption‘ sprechen. Dann haben wir einerseits die Gruppe der Überzeugten, die Innovation im vollen Umfang annehmen und sagen, dass sich alles ändert, und andererseits die Gruppe, die sagt, dass ‚Änderungen langsam vor sich gehen‘. Beide Gruppen liegen falsch. Man muss den Mittelweg finden. Und hierin liegt die Herausforderung für etablierte Unternehmen mit vielen Eigeninteressen, die in turbulenten Zeiten berücksichtigt und verteidigt werden müssen.“ 

Zusammenstoß zweier Kulturen 

„Zudem ist da auch der Wunsch, Veränderungen umzusetzen, um so Innovation zu verwirklichen. Wenn Sie diesen Wunsch haben, wie schaffen Sie es, Ihr Unternehmen auf diesem Weg der Innovation zu stärken? Dies beginnt üblicherweise am kundenseitigen Front-End, wo sich für gewöhnlich ein klares Bild von den Kundenbedürfnissen und der Nachfrage darstellt. Hier besteht vielleicht eine Lücke zwischen Front-End und Unternehmen, auf dessen Seite unter Umständen ein weitaus geringerer Kundenfokus existiert. Auf der anderen Seite ist da der Supervisor und die Compliance-Abteilung, die sehr deutlich auf Wahrung des Status Quo fokussiert sind. Die Prozesse des Supervisor sind typischerweise nicht auf Veränderung ausgelegt. Hier finden wir den Zusammenstoß zwischen zwei Kulturen. Und das ist einer der Gründe, warum ich begonnen habe, für Start-ups zu arbeiten und nicht mehr für Fintechs.“ 

Digitales Lego

„Selbst aus einem Banking-Hintergrund stammend, habe ich vor gut zwanzig Jahren festgestellt, dass Technologie oft als notwendiges Übel betrachtet wurde. Software war seinerzeit noch nicht so ausgeklügelt und auch so etwas wie eine ‚reibungslose‘ Kundenerfahrung oder Konnektivität gab es noch nicht. Dies ist die ‚Dialektik der Führung‘: diese liegt darin begründet, dass die Finanzwelt relativ früh mit der Digitalisierung ihrer Produkte und Prozesse angefangen hat. Und hier kamen dann die Fintechs mit ins Spiel, um ihren Anteil an der Wertschöpfungskette zu fordern: besser, schneller und günstiger. Heutzutage kann man alle benötigten Komponenten ‚As-a-Service‘ beziehen. Ob nun Kunden-Onboarding, Risikoanalyse, Datenverarbeitung, Front-End: alle sind als separate Komponenten erhältlich. Dies erlaubt die Fokussierung auf ein Problem, indem man auf dem ‚digitalen Lego‘ aufbaut, deren Grundstein Andere bereits zuvor für Sie gelegt haben. ‚Digitales Lego‘ ist der Ausdruck, den ich dafür verwende. Das ist, was Start-ups tun, und das treibt mich an.“ 

Aus den Unterschieden lernen

„An was es den Startups fehlt, ist: Betriebsvermögen, regulatorische Expertise und Umsatz. Sie sind Experten darin, sich auf zwei Ziele zu fokussieren: nämlich, um zu überleben und das zu tun, was der Kunde will. Sie überleben nämlich nur, wenn sie Umsätze zu erzielen beginnen. Daher sind sie zu 100 % auf das Lösen von Kundenproblemen in der Art und Weise fokussiert, dass der Kunde dafür auch zu bezahlen bereit ist.  Dies erfordert eine hohe Risikobereitschaft, die komplett im Gegensatz zu den etablierten Unternehmen steht, die häufig über ein begrenztes Wachstumspotenzial verfügen und daher auf der Wahrung ihres Status Quo fokussieren müssen. Hier besteht das Interessante darin, dass man aus den Unterschieden zwischen Start-ups und etablierten Unternehmen lernt und diese dazu nutzt, um Innovation innerhalb des Unternehmens zu beschleunigen.“

„Innovationsvirus“ 

„Die nächste Frage besteht darin, wie man die Innovationsagenda in die Praxis umsetzt. Hierfür braucht man natürlich erst einmal, dass man ein Ziel festlegt. Das klingt einfach, ist aber in der Regel der Punkt, an dem Dinge beginnen, falsch zu laufen. Sobald Menschen mit dem ‚Innovationsvirus‘ infiziert sind, versäumen sie es oft, sich diese Frage zu stellen: Warum tun wir das? Keine Antwort. Dies liegt daran, dass Executives inzwischen losgelöst agieren. Es gibt einfach keine mit Innovation verbundenen Business-Ziele oder KPI. Die Frage, die man sich stellen sollte, lautet: ‚Wie trägt Innovation zu zukünftigem Wachstum bei?‘ Um dies in Innovations-Sessions zu illustrieren, wende ich in der Regel McKinsey's Horizont-Modell, um Innovationsbemühungen an potenziellen künftigen Herausforderungen auszurichten (siehe Darstellung).“ 

„Acht wesentliche Elemente“ 

„Bei der Anwendung des 3-Horizonte-Modells ist es wesentlich, den Portfolio-Ansatz zu verwenden, der ‚8 wesentliche Elemente der Innovationsleistung‘ umfassen (siehe Box). Hierbei muss man die Aktionen über die drei Horizonte verteilen, weil diese Horizonte sich mit der Zeit langsam auf Sie zubewegen. Außerdem ist es wesentlich, sicherzustellen, dass man einen Sinn für die Richtung hat. ‚Was kommt und ändert sich heute vielleicht?‘ Daher muss man wissen, welche Projekt zu den jeweiligen Horizonten beitragen. Nehmen wir mal an, sie teilen 40 % Ihrer Innovationsquellen an Entwicklungen zu, die sich direkt auf das aktuelle Business auswirken, 30 % an welche, die das zukünftige Business verbessern (Horizont 2) und die restlichen 30 % experimentellen Projekten in Horizont 3 zu. Damit haben den Rahmen für Ihr Investmentportfolio für Innovation gesetzt. Als nächstes wollen Sie sicherstellen, dass das Innovationsportfolio einen Wert liefert - und genau hier liegt die Herausforderung.“

„Innovationen fressen Business auf“

„Oftmals stellt das Senior Management zu schnell die Frage: ‚Was sind die Ergebnisse der Innovation?‘ Das ist verständlich, weil die Innovationsagenda zu den kompliziertesten Aspekte beim Betreiben eines Business gehören. Geduld zahlt sich aus. Zudem muss man sich für jedes Innovationsprojekt auf einen Zeitrahmen verständigen, in dem man den Moment einer ‚Go-/No-Go‘-Entscheidung oder Reinvestition bespricht, um so die Innovationsziele gemäß ihrer Etablierung zu erzielen. Während dieses Prozesses ist es wichtig, zu beachten, dass Innovationen das eigene Business auch auffressen können. Von der Business-Perspektive aus gesehen kann das Einführen neuer Produkte zur Folge haben, dass man mit bereits vorhandenen Produkten konkurriert. Es ist kein Geheimnis, dass Philips damals die Vorteile der LED-Lampen zugunsten seiner eigenen traditionellen Glühlampen zunächst verflucht hatte. Die innovative LED-Leuchte haben sie dann auch erst zu lieben begonnen, nachdem sie klammheimlich die weltweit besten LEDs herstellten. Die Lektion für die Strategie, die wir hieraus lernen, lautet: ‚Bereiten Sie sich darauf vor, mit dem Next-Generation-Produkt in den Markt zu gehen, ohne die alte Fabrik gleich zu früh zu schließen‘.“

Gans zu Weihnachten

„Von einer Kostenperspektive aus gesehen, können sich entscheiden, zu wechseln und die Plattform eines Konkurrenten zu nutzen. Passiert das, dann sagt sich die IT-Abteilung vielleicht: ‚Warte mal, das war mein Job!‘ Dies ist oft der Fall in Technologie-getriebenen Situationen, in denen die IT-Abteilung ihre Meinung zur Kapazität geben muss. Das ist so, als würde man mit der Gans über das Weihnachtsessen diskutieren. Es geht also um ihren Job, ihre Kollegen und ihre Zukunft. Executives müssen sich diesen möglichen Widerständen und Spannungen bewusst sein. Daher ist es klug, nach einer zweiten Meinung zu fragen, sodass man die zu treffenden Entscheidungen auch machen kann. Sie müssen zudem sicherstellen, dass die Mitarbeiter klar sehen, was sie erwarten können. Denn je klarer sich die sich ändernde Zukunft darstellt, desto mehr sind sie dann auch bereit, ein Teil dieser Zukunft zu werden.“    

Belohnung für Innovation

„Zu guter Letzt, werden Mitarbeiter im Allgemeinen selten für eine erfolgreiche Innovation belohnt, weil die KPI für Erfolg in den Zielen entweder gar nicht oder nur vage formuliert sind. Und wenn das Innovationsprojekt scheitert, dann wird es den Mitarbeitern in die Schuhe geschoben, oder schlimmeres. Innovationsziele sind also der Schlüssel für den Erfolg der Innovation. Das Senior Management muss Innovation daher aus der Sichtweise eines Innovationsportfolios betrachten und anerkennen, dass Innovation den Charakter eines Experiments beinhaltet. Wird das Innovationsprojekt eingestellt, dann war es wenigstens keine Geldverschwendung, sondern ist ein Teil der Portfoliostrategie. Sobald das Senior Management dies zu kommunizieren, und nebst der Tatsache, dass Mitarbeiter eine Belohnung für erfolgreiche Innovation erhält, wird dies zur Bereitschaft und zum Willen zur Innovation im Unternehmen beitragen.“ 

Don Ginsel ist CEO/Gründer von Holland Fintech und Organisator der Amsterdam Fintech Week https://xfw.amsterdam, September 2020 

Erfolge

  • Innovationsziele sind der Schlüssel für den Erfolg der Innovation.

  • Das 3-Horizonte-Modell richtet Innovationsbemühungen auf potenzielle künftige Herausforderungen aus.

  • Denken Sie aber daran, dass Innovationen das eigene Business auffressen kann. 

  • Das Senior Management muss sicherstellen, dass Mitarbeiter ein klares Bild haben und für Erfolge bei der Innovation auch belohnt werden. 

McKinsey's Wachstumshorizonte

Der 3-Horizonte-Rahmen bietet Unternehmen eine Struktur, anhand derer sie potenzielle Wachstumschancen bewerten können, ohne dabei die aktuelle Leistung zu vernachlässigen. Horizont 1 steht für die Kerngeschäfte, die am leichtesten mit dem Firmennamen identifiziert werden können. Hinzu kommen die, welche die größten Gewinne sowie den größten Cashflow liefern. Hier liegt der Fokus auf der Verbesserung der Leistung, die den verbleibenden Wert maximieren soll. Horizont 2 umfasst die sich bietenden Chancen, inkl. die unternehmerischen Vorhaben, die zukünftig wahrscheinlich wesentliche Gewinne generieren, jedoch beträchtliche Investitionen benötigen. Horizont 3 beinhaltet Ideen für späteres profitables Wachstum, z. B. kleinere Ventures, wie u. a. Forschungsprojekte, Pilotprogramme oder Minderheitsanteile in neuen Businesses. Hierbei sollte Zeit nicht als Aufforderung dazu interpretiert werden, zu welchem Zeitpunkt – jetzt, später, noch später – die Aufmerksamkeit hierauf gerichtet werden soll. Unternehmen müssen die Businesses entlang aller drei Horizonte gleichzeitig managen.

Quelle: Enduring Ideas: The three horizons of growth, www.mckinsey.com, 1. Dezember 2009.

„Innovation ist ein tagtäglicher Prozess. Das Straffen und Integrieren von Hypothekenprozessen ist qua Definition ein ‚Auf-Maß-schneidern‘ und erfordert innovative Einsichten, Flexibilität sowie robustes Urteilsvermögen. Da Executives mit dem Muss konfrontiert sind, auf sich ständig ändernden Kundenanforderungen zu reagieren, wird der Wechsel in Richtung Aufbau eines agilen, innovativen Unternehmens evident. Daher müssen Executives in der Lage sein, die Dynamiken der Innovationskultur, die sie aufbauen möchten, auch zu verstehen.“
— Arjan Hessels, Manager Innovation & Digitalization, Stater